Klopfer!
  Der Nase lang
 

Der Nase lang

Immer neue Wege finden in jeder Himmelsricht'.
Neue Sichten gesammelt im neuen Gedicht.



Demnächst werde ich hier einen langen und vielschichtigen Text über meine Erfahrungen und Gedanken zu meiner neuen Lebensumgebung Magdeburg veröffentlichen. Dazu kommt ein ausführlicher Reisebericht zu Berlin wenn ich die Hauptstadt besucht habe.

31.12.2013
Silvester in Berlin


Um fünf fuhr ich von Magdeburg in die Bundeshauptstadt. Im Abteil saßen junge Leute, am Bahnhof als wir abfuhren, ließen sie Raketen in die Luft steigen und im Zug grölten einige „Berliin.“ Hinter mir unterhielt sich eine Gruppe und was sie sprachen war sehr unterhaltsam, es ging leicht in die kriminelle Halbwelt und war voller Milieuromantik und bunter Lebenswürze.

Am Bahnhof Zoologischer Garten stieg ich nach eineinhalb Stunden aus, lief über den Flur und kam ins Freie, ich schaute mich um, konnte nach einigen Minuten keinen Burger King entdecken, ich verzweifelte. Ist auf Andreas also kein Verlass? Muss ich jetzt wieder nachhause fahren? Nirgendwo sah ich die Reklame des Fastfoodladens. Ich hatte Andreas vor drei Jahren auf einer Silvesterreise nach Paris kennengelernt und dachte mir auf der Fahrt nach Berlin, schön ihn Silvester wiederzusehen.

Dann aber lief ich nach rechts und wirklich, um die Ecke war der Haupteingang des Bahnhofs und hier gegenüber fand ich auch Burger King. Ich atmete die winterliche Berliner Luft ein und wurde auch von den ganzen Hochhäusern, den hetzenden Menschen etlicher Nationalitäten erdrückt, ich hatte noch etwas Zeit, also lief ich die Ladenzeile entlang und schaute durch die Fenster zu anderen Imbissen und Läden, dann wieder zurück zu Burger King.

Da ich keine Uhr hatte fragte ich einen Japaner nach der Zeit, er schaute mich kritisch an und lenkte mich dann ein paar Schritte und zeigte auf eine ferne Uhr Richtung Gedächtniskirche, die von hier zu sehen war. Ich bedankte mich, hier in Berlin ist die ganze Welt versammelt.

Dann kam Andreas, ich freute mich, wir begrüßten uns, wir erzählten viel voneinander, über Weihnachten und anderes, dann liefen wir Richtung Gedächtniskirche und blieben vor einem Luxushotel stehen. Es war das Waldorf Astoria. Wir schauten durch die Fenster und schließlich betraten wir den Marmorboden und das Hotel. Hier war alles edel und teuer. Der Portier war sehr freundlich, wir schauten uns um. Nach einiger Zeit verließen wir die marmorne Halle und beratschlagten was wir uns angucken könnten. Wir liefen wieder zum Burger King, denn wir hatten Hunger, ich holte mir ein Menü.

Ich aß das Menü auf einer Bank an einem geschlossnen Asiaimbiss in eisigster Kälte. Darauf fuhren wir mit dem Bus nach Charlottenburg und besuchten das Schloss der Hohenzollern hier, welches romantisch angestrahlt wurde. Am Metallzaun des Eingangs der preußische schwarze Adler. Ich fühlte mich hier sehr wohl, wir liefen einmal um den riesigen Bau. Besonders die Kuppel auf dem Mittelteil gefiel mir.

Im Schloss selbst war eine Feier, ein Bankett und die Kellner und Bediensteten waren in Barocktracht gekleidet, auch dies gefiel mir, wir schauten durch die Scheiben nach innen und bestaunten die Kostüme.

Am Richard Wagner-Platz stiegen wir in die UBahn, vorher aber beschauten wir die Mosaiken über Persönlichkeiten aus den Wagnerwerken wie etwa Lohengrin oder Elisabeth von Thüringen. Mit der Metro wollten wir zum Brandenburger Tor, aber der Bahnhof war gesperrt, wir fuhren sehr weit bis nach Kreuzberg, stiegen aus. Wir wussten nicht weiter denn auf der andern Gleisseite fuhr nichts zurück. Ich sang schwarzhumorig zu Andreas „Kreuzberger Nächte sind lang“.

Wir erkundeten uns bei einem Nottelefon über alternative Linien und schließlich nahmen wir eine passende Linie und fuhren bis zum Potsdamer Platz. Auch hier in den Bahnen alles international und sehr viele junge Leute waren unterwegs. Andreas und ich unterhielten uns lebendig, ich war aufgedreht durch die Atmosphäre dieser Weltstadt.

Wir fuhren zum Alexanderplatz kurz Alex, hier war ein Weihnachtsmarkt, ich schaute mich um auf diesen legendären Platz, wir gingen zur Weltzeituhr, ich studierte die Zeitzonen. Dann zum Fernsehturm, wir wollten hoch. Auf meinem Wunsch waren wir hier. „Berlin bei Nacht… die Lichter“, sagte ich Andreas. Leider war Geschlossne Gesellschaft wie uns die Portiers erklärten, wir ärgerten uns.

Dann wieder in eine Bahn. Mehrere schwarze Araber erzählten untereinander und dies stieß mich etwas ab. Eine junge Frau mit brauner Haut, die wohl auch nur vom Namen noch deutsch schien aber sehr attraktiv war, sagte diese Sprache sei sehr aggressiv und es stieße sie ab zu ihrer Bekannten. Der Araber schien aus einfachen Verhältnissen und mit nur wenig Bildung aber ich verstand nicht was er sagte, nur wie er redete gab mir die Ideen zu meinem Urteil.

Ich hatte mich für Berlin bestens angezogen, mit Mantel, Schal, Mütze, Handschuhen und guten Schuhen und die Leute zeigten mir auch durch ihr Verhalten wie sie mich einschätzten. Es ist wohl so: Kleider machen Leute. Obwohl ich dies immer wieder vergesse und sehr idealistisch bin. Aber Menschen sehen zuerst die Oberfläche.

Am Potsdamer Platz war natürlich… ein Weihnachtsmarkt, wie etliche in Berlin wie ich von Andreas erfuhr. Wir aßen hier beide Crepes. Darauf erkundeten wir das riesige Sonycenter, es war erdrückend, diese gigantische Architektur, die vielen Leute, Gespräche, Geschäfte. Eine sehr große Installation zum neuen Hobbitfilm stand in der Mitte. Wir liefen drumherum, ich blieb beim Filmmuseum stehen. Hier waren Plakate mit Marlene Dietrich. Ich hatte schon am Bahnhof Zoologischen Garten das Fotografiemuseum entdeckt.

Wir wollten auf die Partymeile zwischen Brandenburger Tor und der Siegessäule im Volksmund Goldelse. Wir kamen an Luxusrestaurants vorbei. Drinnen Familien in feinen Anzügen und Gläsern mit Wein in den Händen und wohl Champagner auf den Tischen, Kerzen darauf. Draußen sah ich vorher Penner an Häusern liegen und die Normalsterblichen hatten Bierdosen oder Billigweinflaschen in der Hand.

Am ersten Zugang zur Partymeile Metallzäune und Polizisten. Wir fragten. Eine sagte, wir sollten es an anderen Zugängen probieren. Wir folgten der Menge und kamen zum nächsten Zugang am Tiergarten. Hier auch viele Imbissverkäufer. Zum Glück war ich warm angezogen, es war eiskalt. Hier erfuhren wir von der Polizei, die Meile sei wegen Überfüllung abgesperrt. Wir kotzten ab, ich hatte mich sehr darauf gefreut, auf die vielen Bands und das Großerlebnis. Das Feuerwerk und die Stimmung. Wir liefen zurück. Plötzlich sah ich mehrere Leute unter einem Metallzaun durchkriechen, hier war ein größerer Spalt als sonst. Ich schaute hinterher. Nach einiger Zeit kamen sie zurück, ich fragte warum. Einer sagte: „Überall Cops!“ Der Tiergarten wurde also komplett von der Polizei gesichert. Wir gingen darauf noch einmal in das Sonycenter und ich schaute mich an allem satt.

Was sollten wir nun unternehmen, wir beratschlagten, Andreas brachte wieder was mit einer Disko. Ich sagte, ich sei dazu nicht richtig gekleidet. Ein Cafe, eine Bar wäre besser. Ich sagte: Kaffee Burger. Andreas hatte schon in der Bahn davon erzählt, er sei dort auf Lesungen gewesen und ich kannte dieses Lokal von Wladimir Kaminer, der dort seine Russendisko veranstaltet.

Also fuhren wir zum Prenzlauer Berg. Es zeigte sich während der Stunden wo wir unterwegs waren, Andreas ist ein sehr sympathischer und umgänglicher Mensch. Hier gingen wir zum Lokal, wir bezahlten die zehn Euro Eintritt, ich wollte ein wenig mir den Kiez anschauen aber Andreas wollte ins Warme. Wir liefen durch den ersten Raum, eine Theke, eine Bühne mit Tanzfläche. Ein paar Leute. Durch den Flur, hier war die Garderobe.

Ich gab meine Klamotten ab. Im nächsten Raum war es dunkler, hier stand ein DJ und spielte Musik, die mir gefiel. Wir setzten uns an die hippe Bar und bestellten. Dann ließen wir uns die Drinks schmecken. Ich trank Cuba Libre und Andreas Cola, ich gab ihm die zweite aus, er hatte nicht genug Geld.

Wir setzten uns auf die Sitze, ich auf die Ledercoach an der Wand und unterhielten uns. Nach einiger Zeit packte ich meine „Moods“ aus und rauchte Zigarillos, Andreas ging zur Bühne, ich beobachtete andere Leute, Gruppen, hübsche Frauen. Und kurzer Smalltalk mit den Kerlen neben mir. Die Musik wurde noch besser. Andreas kam und ging nach einiger Zeit wieder.

Viertel vor ums zwölf ging ich zur Theke bei der Bühne, holte mir einen Sekt. Dann kam der Countdown, ich stieß mit Andreas an.

Wir tanzten später zur Livemusik der stylischen, tollen Band „Ruperts Kitchen Orchestra“, die mit wunderbaren deutschen Texten und feurigen Rhythmen die Leute auf der Tanzfläche anheizte. Ich fühlte mich immer besser beim Tanzen und vergaß mich ein paar Mal, dann wieder schaute ich auf die andren Leute, die sich auch von der Musik treiben ließen.

Lange bewegte ich mich zur Musik, dann ging ich wieder in den Nachbarraum und setzte mich auf die Couch. Am anderen Tisch war eine große Runde von Kerlen. Ein Mädel setzte sich dazu, sie hatte rötliches und trendig frisiertes Haar, war im Fünfzigerjahrestil gekleidet. Ich sprach sie an, sie setzte sich zu mir und gab mir Feuer denn ich hatte kein Feuerzeug, vorher hatte ich mir die Moods an den Kerzen auf den Tischen angezündet. Wir plauderten angenehm, ich erfuhr sie war die Freundin des Türstehers, ihre jüngere Schwester, die mich sehr reizte, saß auch mit am Nachbartisch.

Ich erzählte vom heutigen Silvester, meinen Eindrücken von Berlin und dass ich zuletzt richtig so um 1991 in Berlin war, danach ein paar Mal nur hier umgestiegen bin auf den Weg nach Rügen oder Usedom zu Radtouren. Sie war sehr angenehm. Ich war den ersten Tag in Berlin und schon hatte ich eine Frau kennengelernt. Berlin, ick liebe dir, dachte ich mir.

Wir, also Andreas und ich, verließen froh das Lokal, liefen zum nahen Döner. Ich aß dort, hatte Hunger.

Anschließend fuhren wir mit der Bahn zum Zoologischen Garten, wir wollten zu Andreas, unterwegs kamen wir an einem Cafe vorbei, wir setzten uns rein. Schauten fern, ruhten uns aus, tranken beide Kaffee, ich gab Andreas einen aus. Das Cafe war ein Schachcafe und es war mit lauter Girlanden geschmückt, ein paar Gäste waren noch verblieben, es war nach zwei. Einige junge Bayern saßen am Nachbartisch und ihr Dialekt wirkte sehr lustig auf mich. Nach einer halben Stunde wanderten wir weiter zu Andreas Wohnung in einem Hochhaus.

In seiner Stube waren überall Bilder an der Wand, ich erfuhr später er malte sie spontan und gerade so wie es ihm einfiel. Auf dem Schreibtisch war Chaos, aber es standen auch einige Knetfiguren, von denen einige scheinbar einen Teufel darstellten. Das Buch „Wozu leben wir?“ von Alfred Adler lag auf dem Tisch.

Wir schauten fern, starwars - familyguy. Das würde ich sonst nie sehen aber es war gut zum Ausruhen.

Ich ging zum Nachttisch, hier lag übereinander „Die Zwille“ und „Heliopolis“ von Ernst Jünger sowie „Der Wille zur Macht“ von Friedrich Nietzsche.

Andreas drückte mir seinen Zukunftsroman auf Nachfrage mit Namen „Terra Nova“ in die Hand, ich blätterte darin, überflog viele Zeilen, und fand den Text interessant. Er gab ihn mir für zuhause zum Lesen mit. Ich erfuhr, er lernte das Schreiben in der Volkshochschule und liest seine Texte in Zirkeln vor. Er arbeitet in einem Kiosk und führt ein gedankenreiches Leben. Dann schliefen wir, er auf seinem Sessel und ich auf dem ausgeklappten Sofa am Boden, ein zwei Stunden.

Er brachte mich dann zum Bahnhof und nach sieben fuhr mein Zug wieder nach Magdeburg. Unterwegs beobachtete ich den Sonnenaufgang auf schneebedeckten Feldern und schaute auf romantisch leuchtende Seen im Halbdunkel. Ich war übersättigt von den Eindrücken und brauchte vier Tage um Auszuruhen.




07.10.2012

Potsdam

Mit der rosanen Morgenröte verließ ich die WG und lief über die einsamen Wege an der unbefahrenen Strasse, vollkommene Ruhe, es ist sehr kalt, leichter Nebel. Auf dem Bahnhof hole ich mir das Ticket und vertreibe mir die Zeit in der Bahnhofsbuchhandlung, dann fahre ich um acht von Magdeburg ab, an vielen Dörfern und Orten vorbei, der Weg führt oft durch Nebelwiesen und an Flüssen und Seen entlang, dann stieg ich um, ich belauschte das Gespräch auf Englisch zwischen einem Nigerianer und einem Usbeken, die vor mir saßen und über die Lage ihrer Länder geschichtlich, kulturell, religiös und wirtschaftlich sich austauschten, Deutschland geschichtlich analysierten ab dem Ende des zweiten Weltkrieges und auch auf Russland und die ehemalige Sowjetunion sowie die USA zu sprachen kamen. Es war interessant den Vorstellungen der Beiden zuzuhören und wie andere Kulturen die Welt sehen in der sie leben und auch ich.

Halb zehn dann in Potsdam. Ich hatte schon viel über die Stadt gehört: „Die schönste Stadt im Osten.“ „Hier wohnen die ganzen Reichen wie Jauch und Joop“ und andere Sprüche, informiert hatte ich mich vorher nur ein wenig über Geschichte, über Friedrich den Großen und über die Napoleonzeit, ich verließ das Bahnhofsgebäude mit einem Faltblattstadtplan mit den schönsten Sehenswürdigkeiten, ich war mir klar, weniger ist mehr, und suchte mir die Dinge, die mich ansprechen. Auch in der Innenstadt dachte ich, gebrochen wie in den meisten deutschen Städten, aber es wurde bedeutend nach der Wende saniert wie ich von Leuten erfuhr mit denen ich mich unterwegs unterhielt, sie fragte. In der Brandenburger Landeshauptstadt den ganzen Tag zu Fuß unterwegs.

Ging zuerst über die Brücke zur St. Nikolaus-Kirche, der Gottesdienst war drinnen kurz vor dem Beginn, ich schaute mir durch die Scheiben im Vorraum das prächtige Gewölbe an und beobachtete die Gläubigen. Draußen schoss ich Fotos des Gotteshauses und des davorstehenden Obelisken. Dann weiter Richtung Sans souci. Ich kam an einem Denkmal des Generals Steuben vorbei und besichtigte einen kleinen Platz hier in der Nähe, in einem Kuhstall war eine Ausstellung über Friedrich den Großen untergebracht. Ich besuchte sie aber nicht. Mein Weg führte zum Museum wo die Garnisonskirche früher stand. Ich fragte den Verantwortlichen nach einigen Dingen und unterhielt mich mit ihm, schoss Fotos eines Modells des Hauses welches gesprengt wurde in den Sechzigern und bildete das hier ausgestellte korinthische Säulenkapitell mit meinem S2 ab. Es besteht eine Initiative zum Wiederaufbau den ich befürworte. Das Gebäude repräsentierte früher die preußische Ethik: „Üb immer Treu und Redlichkeit.“ Sowie eines aufgeklärten Protestantismus, ein eleganter Bau, dessen Wirkung in Deutschland die Nationalsozialisten leider ausnutzten, das ist aber nicht Sache der Architektur, des Glaubens und der Kirche sondern Sache der damaligen Menschen die dies für sich ausnutzten. Im Grunde habe ich als Deutscher damit nichts mehr zu tun weil ich glücklicherweise ein Danachgeborener bin. Auch für die über sechs Millionen Ermordeten in den Lagern trage ich keinerlei Verantwortung. Das war und ist Sache der damaligen Generationen. Trotzdem muss in gewisser Weise ein Andenken und eine Erinnerung dazu ermöglicht werden als Warnung und gleichzeitig Vermeidung erneuter Untaten von Deutschen. Der Wiederaufbau allerdings ist für mich eine Harmonisierung der Deutschen mit den glänzenden Teilen ihrer Geschichte, den Preußen zu einem großen Teil repräsentiert. In Preußen ging der Geist eines modernen und aufgeklärten Staatswesens in Deutschland als erstes auf und dies muss gezeigt werden und dazu gehört auch eine Erinnerungskultur und Architektur. Die Sprengung der Kirche wie auch der Paulinerkirche in Leipzig und anderer wichtiger Bauwerke war ein Frevel der DDR-Führung und auch ein Ausblenden und Blindmachen vor vergangnen Zeiten. Es passte nicht ins damalige Weltbild aus der Sowjetunion. Langsam kommen in vielen deutschen Städten immer mehr Menschen zu sich und Entscheider finden sich, die wichtige Architektur wieder neu beleben. Auch in Frankfurt am Main wird eine bedeutende Fachwerkbauachse zwischen Römer und Dom gebaut. Ich stehe auf Seiten der Erneuerung des Alten wo es in ganzheitliche, natürlich auch historische Zusammenhänge passt.

Von dem Museum ging ich weiter, erreichte den Luisenplatz, sah mich im Touristenladen um und ein paar Luise und Friedrichfiguren an, beobachtete die Leute, fotografierte draußen das große Tor. Bald darauf erreichte ich Park Sans Souci. Die Wolken verzogen sich langsam, der kalte Morgen verschwand und ein schöner blauhimmliger Mittag kam zum Vorschein. Ich erkundete zuerst die Kreuzgänge an der Friedenskirche und dachte an Italien beim Laufen hier entlang.

Am Rokokoschloss Sans Souci viele Fotos gemacht, eine  Atmosphäre hat dieser Ort – völlig gelöst und schwerelos verharre ich in mir. Ich bin überwältigt. Kaufe mir eine Eintrittskarte. Ich habe noch über eine Stunde Zeit, so entdecke ich den Park schrittweise, laufe über den Hauptweg, biege ab zum Chinesischen Haus und zurück geht’s auf der anderen Seiten des Hauptweges über einen großen Platz mit Reiterstandbild Friedrich des Großen und einen Bogenschützen. Dann wieder zum Schloss, die Schlange ist lang aber ich bin geduldig, nach einiger Zeit wird die Tür geöffnet und die Schlange quetscht sich ins Schloss.

Die Kolonnade auf der Hinterseite am Schloss bestehend aus Säulen und Verbindungsaufsatz ist sehr elegant. Auch der gelbe Farbton des Schlosses vereint sich mit dem blauen Mittagshimmel zu einer kräftigen Symbiose. Im Schloss holte ich mir einen Audioguide und nun hieß es die Innenräume entdecken. Wie lebte der Alte Fritz hier? Ich folgte den anderen Touristen und ließ mir hier drinnen Zeit, betrachtete mir neugierig und langsam die Möbel, Decken, die Gemälde, Skulpturen und auch die Säulen. Ich war angetan auch innen von der Eleganz, die Inneneinrichtung machte auf mich einen fein und sehr kunstsinnigen Eindruck, spiegelte also Friedrich den Zweiten wieder. Deswegen war Sans souci ja auch sein Lieblingsschloss, er hatte es ja auch skizziert, und Sommerresidenz. Hier war er "ohne Sorge" wie das Schloss auf Deutsch heißt. Hier philosophierte er mit Voltaire, spielte Flöte vor seiner Abendgesellschaft, spielte mit seinen Hunden oder las ein Buch aus seiner schlosseignen Bibliothek. Das perfekte Schloss für einen kunstsinnigen Philosophen, der sich von seiner zeitaufwendigen Haupttätigkeit als erster Diener des Staates hier erholte.Vom Schloss stieg ich die Treppen langsam bergab, einige pralle Wolken waren aufgezogen, ich entdeckte weitere Orte hier im Preußischen Arkadien wie die Orangerie oder oberhalb die Alte Windmühle wo die Touristenbusse anhielten und viele Leute ausstiegen und gleich einen Souvenirladen vor sich sahen. Ich dachte dabei, gut dass ich nicht pauschalreisemäßig hier unterwegs bin, ich brauche Zeit zum Entdecken, Zeit zum Wahrnehmen und Zeit für Empfindungen. Die Lektüre der "Italienischen Reise" zeigte mir eine Reise als Gesamtschau des Wahrnehmens und Bildens während eines Reiseaufenthaltes und ich glaube je mehr Zeit zum Erkunden eines Ortes ist umso mehr nimmt der Reisende auf, umso prägender und tiefgründiger wird die Erfahrung und auch bleibender.Ich lief zum barocken Neuen Palais und bewunderte die Skulpturen nach dem antiken Vorbild am Weg vor dem Palast. Ich überblickte diesen riesigen Bau, der mich an Versailles erinnerte, lief auf die andere Seite, dabei schaute ich mir die reich gestalteten Figuren an den Treppen, auch rund um das Bauwerk sowie auf dem Giebel an, eine überbordende barocke Pracht, ich erinnerte mich an den Zwinger in Dresden von meinen Besuchen und an das barocke Dresden von Bildern überhaupt.

Am Palais setzte ich mich eine Weile auf eine Bank nachdem ich einmal eine Runde gedreht hatte, mir die Kolonnade hier betrachtete und auch die Gebäude auf beiden Seiten der Verbindung beschaute, die Communs, die ehemals Wirtschaftsgebäude waren was nicht ersichtlich ist, die jetzt die Universität beherbergen, spüre ich einen starken Kontrast zum kleinen Sans souci . Hier erschien mir alles in römisch - antiker Originalgröße, so muss das alte Rom einmal ausgesehen haben. Das kleine Sans souci im Rokokostil dagegen ist nicht so mächtig aber dafür elegant und in gewisser Weise ist Schloss Sans Souci Symbol für den kleinen aber eleganten Staat Preußen, der zu den anderen Hauptmächten aufgrund des hier wirkenden Geistes unter Friedrich den Zweiten aufstieg. Das Palais aber verdeutlicht mir eher den Missbrauch Preußens durch die Nationalsozialisten, auch der hier wirkende großtuerische Stil bei den Communs. Bildlich gesprochen ist Schloss Sans souci eher das antike Griechenland, der Eros und das Palais mit Communs eher das antike Rom, also der Logos. Und weil Schloss Sans souci eher dem Gefühl entspricht, genau deswegen gefällt es den meisten Besuchern hier besser wie auch mir. Klein, elegant und voller Gefühl, voller Eros. Das Neue Palais dagegen ist großtuerisch, will mit Schloss Versailles mithalten und ist doch nur ein Prachtgebäude wie viele andere in Deutschland auch. Sans souci dagegen ist in der Welt einmalig. Voller Anmut, Charme, Faszination und Ausstrahlung und immer wirkt Friedrichs Leben und seine Persönlichkeit beim Erleben dieses Schlosses auf unsere Seele. Ein Künstler und Philosoph als Herrscher, in diesem Fall ging das Experiment gut, in anderen Fällen scheiterte es. Nach der Gesamtschau vom Park Sans souci bei der ich mit vielen anderen Besuchern heute unterwegs war, erfasste mich ein Hochgefühl, ich jauchzte auf und schaute in den blauen Himmel. Wenn sich die Seele weitet dann hat die Reise etwas in uns verändert. Ich verließ den Park, wendete mich zum Holländischen Viertel, fotografierte das hierige Tor bestehend aus zwei Türmen und einer Verbindung dazwischen, unter dieser Brückenverbindung war dahinter in der Ferne eine mächtige Kuppel zu sehen, ein sehr reizvolles Motiv. Im Viertel der Einwanderer aus den Niederlanden waren viele Cafes, Restaurants, Souvenirläden, Ateliers und andere Möglichkeiten untergebracht wie der Tourist von heute sein Besuch hier verschönern, lukullisch umrahmen und auch überdauern kann mit einem Andenken. Ich wandelte durch die Strassen der gleich aussehenden Häuser und lugte in die Schaufenster und betrachtete auch die draußen sitzenden, trinkenden und plaudernden Leute. Ich schaute in fröhliche, neugierige auch flirtende Gesichter.

Auf dem Weg Richtung Bahnhof stärkte ich mich bei einem Döner, dann zum Filmmuseum, es stürmte und regnete, das Wetter hatte sich gedreht, es wurde nachmittags auch wieder kühler. Ich nahm mir Zeit und beschaute die sehr reichhaltige Ausstellung zu Filmgeschichte, Schauspielern, Requisiten und allem was mit meiner Kinoleidenschaft zu tun hat. Vor dem Museum war ein Rummel auf der anderen Straßenseite aber ich dachte, drinnen im Trocknen und Warmen bin ich besser aufgehoben. Im Kino des Museum lief ein DEFA-Film, ich glaube es muss “Sieben Sommersprossen“ gewesen sein, ich blickte kurz auf die Leinwand und erinnerte mich an schöne Erlebnisse bei meinen Ferienlagerzeiten vor der Wende, lief dann wieder zurück Richtung Eingang. Der Sturm und Regen hatte nachgelassen aber nicht völlig. An der Havel lief ich entlang, kam zu Schiffsanlegestellen, ging unter einer Brücke hindurch und schaute einer Entenfamilie beim gemütlichen Watscheln über meinen Weg zu. Da sie Vorfahrt hatten, wartete ich und erfreute mich an diesem Schauspiel.

Kurz bevor ich in den Zug einstieg und an die vielen Orte dachte für die ich heute keine Zeit hatte sie zu besuchen, wusste ich, ich werde auf jeden Fall wieder in diese schöne Stadt kommen und immer wenn ich Zeit für mich brauche ist der Park Sans souci da, hier findet die Seele eine Harmonie aus entfernten und tiefgehender, aus weit entfernten Zeiten die wir in der heutigen Zeit kaum finden. Und beim nächsten Mal werde ich das Filmstudio Babelsberg entdecken, verschiedne Villen besuchen und die Beelitzer Heilstätten südlich von Potsdam mit ihrer Romantik des Verfalls aus der Nähe anschauen. Potsdam als smarte Hauptstadt Deutschlands ähnlich wie Bonn könnte viele Politiker aus ihrer gigantomanischen Scheinwelt Berlin in eine bodenständige Wirklichkeit versetzen. Ich male mir eine Utopie aus, gefährlich-gefährlich-aufregend. Ein schlanker und transparenter Staat mit einem Senat aus achtzehn Senatoren oder Senatorinnen vom Bürger gewählt, alle älter als sechzig und asketische und humanistisch gebildete Universalmenschen. Und die Stadt an der Havel als unabhängiger Senatsdistrikt mit eigner Währung und Verteidigung wie der Vatikan. Nur noch also neunzehn Parlamentarier mit dem Senator des Distriktes und es finden zu allen wichtigen Fragen Volksbefragungen statt, diese werden von zu Hause über das Netz durchgeführt. Wie schon geschrieben ein sehr schlanker, schneller, durchsichtiger, effizienter und auch sozialer Staat, da die Mittel die eingespart werden jetzt den Menschen zugute kommen und nicht mehr der Verwaltung! Aus der Scheindemokratie eine echte Demokratie machen. Und aus dem Land ein souveränes, nachhaltiges und humanistisches Staatsgebilde. Hier in der Stadt fallen dir die Ideen wie Schuppen von den Augen. Potsdam, ich komme wieder! Eineinhalb Stunden Zug. Ich freu mich auf dich.

 




22.05.2011

Von einem, der auszog die Mühlen abzuklappern.


Kaum ist die Woche geschafft, sagt sich der  fleissige Werktätige am Samstag: "Auf in die Natur, weg vom Krach und hin zur Waldruhe!" Denn auch schwer Beschäftigte brauchen ihre Erholung und Abwechslung. Insbesonders die Schreibenden und Kopfarbeitenden. Also raus aus dem Haus am Wochenende. Ich entschied mich nach Überlegungen von fünf Sekunden für eine Runde über das holzländische Mühltal in der Nähe meiner Heimatstadt Gera.

Der nächste Schritt: Durchtelefonieren wer mit will. Keiner ist erreichbar. Egal. Ein Mann - ein Wille - ein Radweg. Also Auf! Ich schwinge mich auf meinen silbernen Drahtesel, der im Sonnenlicht heute wie die Verheißung auf das gelobte Land glänzt.

Schnell durch Stadt gekurbelt und getreten, Durchqueren des Hofwiesenparks mit vielen Wanderern, Pärchen und Radfahrern, die meine Heimat Gera genießen. Mein Gera, dass ich abwechselnd abgöttisch liebe und abgrundtief verachte, immer schön im Wechsel, auf dass kein langweiliger Gleichklang erklingt im Lebensspielorchester.

Nach fünfzehn Minuten erreiche ich Untermhaus, überquere die Holzbrücke, fahre am Dix-Haus vorbei und nehme ein Stück Strasse mit bis ich wieder am Elsterufer bin. Der Weg führt mich längs meines heimatlichen Fließgewässers nach Bad Köstritz, wo das Beste aus unserer Umgebung herkommt: Das Köstritzer Schwarzbier. Der Stand der Sonne verrät mir: Vierundvierzig Komma vier Minuten bis jetzt. Dort biege ich auf eine Strasse, die mich bis nach Hartmannsdorf führt, ein Dorf wo man denkt, das Ende der Welt, aber hier fängt eines der schönsten Täler in Ostthüringen an: das Raudatal. Ich fahre entlang der Rauda, einem kleinen Bach, ein saftig grünes Maiental zieht an meinen Augen auf beiden Seiten vorbei. Schöne Dörfer liegen hier. Viele Pärchen, Radfahrer und Wandergruppen sind unterwegs. Überall Kinderlachen. Ich komme an einem verwilderten Kräutergarten vorbei, über den ich schon eine längere Ballade geschrieben habe und auf meiner Netzseite veröffentlicht habe. Viele Bänke, Tische und andere Rastmöglichkeiten sowie Schautafeln über Natur - Flora, Fauna, Bodenkunde - wechseln sich hier fleißig ab.

Die Rauda entspringt bei Hermsdorf auf einer Hochfläche, einer Wasserscheide zwischen Elster und Saale. Durchfließt auch das Mühltal, mein Ziel. Das Mühltal, dessen Beginn ich bald darauf erreichte, zieht sich über etwas mehr als sieben Kilometer in die Länge. Es liegt zwischen Eisenberg und Tautenhain, und Kursdorf sowie Weissenborn im ostthüringischen Holzland, also einem Gebiet mit viel Wald und daher auch viel Holzwirtschaft. Wie an einer Kette reihen sich acht Mühlen aneinander, meist mit Gaststätten und Pensionen, Tiere auf den Weiden  und Ponyhöfen. Von Kursdorf aus reihen sich in unregelmäßigen Abständen, Robertsmühle mit Miniaturpark, Schossersmühle, Amtschreibermühle, Walkmühle, Pfarrmühle, Froschmühle, Naupoldsmühle und Heuschkensmühle aneinander und am Ende des Tals von meiner Richtung aus gesehen, im Milo – Barus - Haus bei der Heuschkensmühle, lebte einst der stärkste Mann der Welt Emil Bahr - Künstlername Milo Barus dort als Wirt, der einst Pferde mit Reitern trug, Autos über sich fahren ließ, tausend Kilo stemmte, Kühe hob, Stiere zu Boden rang, Telefonbücher zerriss, Autos zog und vollbesetzte Busse mit den Zähnen zog, vollbesetzte Straßenbahnen aus den Schienen hob und andere alltägliche Dinge betrieb... 1930 erwarb er in Paris den Titel „Stärkster Mann der Welt“, verteidigte ihn danach in London, Kalkutta, Kairo, Buenos Aires und New York. In den Siebzigern verstarb er einundsiebzigjährig. Aber immer noch klingt dieser Name angesehen bei vielen Älteren in meiner heimatlichen Umgebung. Jährlich zum 3. Oktober findet zu seinem Andenken der „Milo Barus Cup“ statt. Ein hochklassischer Kraftsportwettkampf, der in der Nähe seines ehemaligen Wohnhauses jährlich viele staunende Besucher anzieht.

An der Robertsmühle dringe ich ins Mühltal ein, ein Miniaturpark hat einige Besucher angezogen und ein Pärchen trinkt im Freien gemütlich ihren Wochenendkaffee an der Mühle. Ich fahre nach einigen Notizen weiter, die Rauda durchschneidet hier im Tal Buntsandstein und teilt die Hänge in links und rechtsseitig wie eine Grenzlinie auf der Landkarte. An den Mühlen haben ganz früher Schnitter, fahrendes Volk also eigenltich Mähvagabunde, die bei der Ernte mit der Sense halfen, also mähden, Leitungen, Mulden und anderes gebaut mit Baumholz aus dem Holzland, also auch dem des umgebenden Tales. Auch Kupferhammer mit der Kraft der Rauda wurden hier in der Nähe betrieben zur Blechbearbeitung, die Hammerschläge müssen durch das ganze Tal geklungen haben. Ich freue mich, der Wald dringt in mein Gemüt, das Wetter ist mild, kein Regen, leichte Brise, aber Wolken schweben über mir und warnen. Das Mühltal ist also umgeben von Waldhängen, Mühlen, die Rauda und der Weg teilen die Baumwelt auf. Überall vernehme ich Vogelzwitschern. Das Plätschern des kristallklaren Baches mit etlichen Fischen ist eine Wohltat für meine Ohren. Sägemehl und Baumduft, Frühlingswaldluft und Vögelkonzerte begleiten das Empfindungskunstwerk. Ich rufe ein "Hallo" zu einer Kutscherin auf einer zweispannigen Ponykutsche mit touristenbesetzten Anhängerwagen und einem Reitermädel hoch zu Ross hinterher. Am Boden wandern viele schwarze und große Käfer, die dem Städter sonst fremd sind, viele sind überfahren, zermatscht und auch sonst tot. Ich versuche mehrere von der Strasse auf den Rand zu schaffen. Ein älterer Mann einer Wandergruppe ermuntert mich weiterzumachen. "Setzen sie sie ins Gras", sagt er freudig. Eine Alte unkt über das Ungeziefer ihrer Meinung nach. Ich entgegne: "Auch die Käfer haben ihren Zweck und Sinn in der Natur." Der Alte nickt und bejaht. Von allen Seiten balzen Vögel umeinander. Eine milde Windbrise trägt Hammerschläge an mein Ohr, und richtig bei der nächsten Mühle wird am Heutrog gewerkelt. Diese vermengen sich mit dem Plätschern, dem Zwitschern, wie früher zur Schnitter und echten Mühlenzeit. Ich esse in der Naupoldsmühle eine Bockwurst, schreibe Notizen und lausche einer Gruppe bei lustigen Unterhaltungen, dann schaue ich mir die Milo Barus - Ausstellung an.

Der Himmel ist immer noch teilbewölkt, ich erwarte Regen, zur Not unter einen mächtigen Baum stellen, sage ich mir, bisher nur vereinzelte Tropfen, Temperatur angenehm mild und frühlingshaft. Ende Mai. Leichter Wind. Die nächste Pause nehme ich mir an einer imposanten Sandsteinformation am Wegesrand. Wo daneben ein sumpfiger Bachlauf mit flacher Bachbrücke und bewaldeter Bachinsel liegt. Zum Weg hin die Rauda, drum herum Mischwald. Zackige und abgerundete, bemooste, verwitterte, überwachsne Bundsandsteinplatten haben sich scheinbar aus dem Hangboden gepresst. Ein Haufen mit Holzkohle liegt bei einer überdachten Tischbank. Diese ganze Steinformation macht einen mythischen Eindruck auf mich.

An mehreren Blöcken und Platten tropft Wasser hinunter, unten dort morastig, Moos auf feuchten Stein, drüber Farne und winzige Tannenausleger. Ich laufe und klettre an der Formation entlang. Überall Moos und tropfender Stein. Die Wurzeln einer riesigen Tanne winden sich an einen der vielen Steinvorsprünge entlang. Darunter eine schattige Wasserlake, daneben liegen Tannenzapfen, darunter Nadelboden umgarnt wieder mit Tannenauslegern, Moos nicht zu vergessen. Ja, den Germanen war der Wald heilig. Deutschland ist immer noch grün. Jeder Deutsche sollte mindestens einmal die Woche einen Waldspaziergang machen, allein schon aus Ehrfurcht vor den Altvorderen! Der Wald - dein Freund und Helfer, ersetzt Tabletten und Ärzte, die viele Menschen unserer Zeit aufgrund der schnelllebigen und alles abverlangenden Wirtschaft und dem zersetzenden Gesellschaftssystem immer nötiger haben. Der Wald lädt zu Gedanken, neuen Ideen, zur Orientierung, Entspannung und auch zur Lockerung ein. Der Rücken entkrampft und die Stirn, die Mundwinkel und die Wangen lockern sich. Das deutsch-urtümliche, romantisch-ungeordnete und wild wachsende ist auch hier im Konflikt mit der schnelllebig-geordneten und geldsystemisch verwalteten Wirklichkeit unserer Zeit.

Überall fahren zweigespannige Kutschen und Kremser umher. Immer aber folge ich dem mild plätschernden Bach. Bis ich doch trotz Zeitlassens irgendwann das Ende des Tals erreiche und die Heuschkensmühle mit dem Haus des Weltstärksten. Auch hier überall Wochenendbesucher, die es sich gut gehen lassen, sich stärken, lachen und den Mai genießen.

Kurz vor Weissenborn blicke ich durch den Drahtzaun der dortigen Kläranlange, dort leiten archimedische Schrauben das Wasser, zweitausendzweihundert Jahre alte Technik, Archimedes - der alte Grieche, so einen könnte die Energiebranche zur Zeit gut gebrauchen denke ich mir. Vergangenheit, Gegenwart und Natur verbinden sich hier im Mühltal auf eigentümliche und harmonische Weise.

Weissenborn am Ende des Mühltals ist ein idyllisches und herausgeputztes Dorf mit einer frisch gemachten Asphaltstrasse auf beiden Seiten mehrere tausend Eingeborene in ebenfalls herausgeputzten und bunten Steinhäusern, die wie ich glaube zumeist fleißig, anständig und bodenständig sind aufgrund der umgebenden Natur. Born kommt von Brunnen und liegt wegen der durchfließenden Rauda nahe. Ich glaube, die Rauda ist so sauber aufgrund der vielen verschiedenen Fische und augenscheinlich wegen ihrer Klarheit, dass man wirklich aus ihr wie einem Brunnen trinken kann.

An einem Haus steht: "Ehret den Mann/ mit der Arbeitshand/ Durch sein Schaffen/ wird ernähret jeder Stand"

Das Gedicht erklärt das ganze Dorf und könnte ein Motto der Deutschen und des Deutschen an sich sein. Ein Hund vertreibt mich mit lautem Gebelle beim Schreiben der Notizen, fühlte sich vielleicht fälschlicherweise angegriffen und wollte seine Herrchen und Frauchen verteidigen. Wer weiß das schon...

Plötzlich sehe ich von Weiten die Kuppeln der Klosterkirche von Bad Klosterlausnitz zwischen Gärten, Bäumen und Häusern. Gefühlte einhundertneunundvierzig Meter nach Ortsausgang erreiche ich die gelbe Begrüßungswarnung Bad Klosterlausnitz' s. Der vermehrte Autoverkehr kündet schon vorher von größeren Menschensiedlungen und größerer Hektik damit im Verkehr. In B.K. fahre ich zur Kirche. Die zweitürmige, riesenhafte Klosterkirche aus der Romanik, also mit Rundbogen, umgibt eine Graswiese, überdeckt von weiß-gelben Gänseblumen und pollenaussendenten Löwenzahn. Alles strahlte zeitlos. Das Bachplätschern des Tals wich allerdings Straßentönen, ausgleichend umwoben von Kinderspielrufen und Gesprächen verliebter Frühlingspärchen. Mächtige Linden verdecken halb die Front der Kirche, das Portal und die beiden Spitztürme, beschatten den Vorplatz. Ein ehrfurchtsvolles Denkmal kündet von den Gefallenen der beiden Weltkriege aus diesem Ort, die mehr Andenken in diesem Lande verdienen.

Dann fuhr ich am See und der dortigen Therme entlang. Die dunkel schweren Wolken verzogen sich und machten noch mehr Sonne und guter Stimmung Platz. Ich bog in einen asphaltnen Wander und Radweg am Ortsausgang, durch Laubwald, kleine Vögelchen torkeln liebestrunken über die Fahrbahn, angeheizt vom Lockruf des anderen Geschlechts. Der Weg beschleunigt und bremst mein Rad wie auf einer Achterbahn. Der Laubwald schlägt in Mischwald um, auf einer Seite macht eine Wiese mit weiten Ausblicken dem Wald ein Ende. Eine Motocross - Strecke lasse ich hinter mir und erreiche die Kuhnshöhe, einem Aussichtspunkt mit Steinhütte, darin Bänke und Fenster, nahe einer Schnellstrasse am Wegrand.

Mehrere Dörfer, Windräder und viel Wald in Sicht - daher Holzland. Davor eine riesige Löwenzahnwiese, der sich lüstern verbreiten will. Danach schlängelte sich der Waldweg mit Autolärm im Hintergrund wie eine Riesenschlange. Schnell erreiche ich Tautenhain und raste an der "Kanone", einer großen Ausflugsgaststätte mit Biergarten, vielen Autos und Wochenendgästen. Die "Kanone" heißt so weil Napoleon hier eine Kanone vergessen hat oder da ließ wie man hier sagt. Der Historiker beschreibt das wohl nüchterner: 1806 zogen napoleonische Truppen durch Tautenhain auf dem Weg zur Schlacht bei Jena-Auerstedt und ließen diese defekte Kanone zurück, die im Freien zu bewundern ist. Seitdem wird das alte Zollhaus an der Strecke zwischen B.K. und B.K. Also zwischen Bad Klosterlausnitz und Bad Köstritz, Gasthaus zur Kanone genannt.

Ich stärkte mich und machte mich auf die Etappe Richtung Bad Köstritz, also zurück nach dem guten alten Gera. Über eine delikate und schnelle, rasendschnelle Schnellstrasse raste ich mit vierzig Richtung Elstertal entgegen. Und fröhnte der Geschwindigkeit. Die schnelleren PKW's, die von noch größeren Menschensiedlungen kündeten, ließ ich bedenkenlos vor mir, da ich mir nichts aus moderner Hast und Zeitnichthaberei mache.

Die Strasse ließ den Wald hinter sich und mir bot sich eine atemberaubende Sicht ins Tal der Weißen Elster, die ich schon oft genossen habe. Mit steilen und langwegigen Gefälle näherte ich mich hinab B.K. Der Wind weichte um meinen Körper, betäubte meine Ohren und später zeigte eine Geschwindigkeitsanzeige an der Seite fast 50 Stundenkilometer. Den Bier, Julius Sturm, Heinrich Schütz sowie Dahlienort erreichte ich also fast mit höchstem noch erlaubtem Tempo. Im Reußenpark in Köstritz, wie man es auch hier nennt, ruhte ich mich ein wenig aus und lauschte dem Zwitschern, sah mir die saftigen und blütenvollen Wiesen an, roch den Bärlauchduft überall, umkreiste den Musentempel mit einer griechisch angehauchten Frauenskulptur unter einem Säulendach, hier schaut die Muse über ihre Herrschaftsreich. Ja so ist das!

Diesen schönen Park, der auch einen großen Teich hat, verdanken die Köstritzer dem ehemals herrschenden Fürstengeschlecht Reuß jüngere Linie. Die auch Gera ihren Stempel aufdrückten. Die ältere Linie herrschte von Greiz aus. In einem Wildgehege sind Tiergruppen beim Äsen und Spielen zu beobachten. Zwei Mädchen fotografieren sich auf einer Bank und genießen wie ich den schönen Frühlingstag. Zurück nach Gera fuhr ich wieder den Weg an der Weißen Elster - dem heimatlichen Fluss - entlang, der heute gelblich plätschert wegen des vergangnen frühen Regens, der alles aufschlämmte. Die beiden riesigen, langgezognen Anglerteiche erreichte ich, auf denen sich immer so schön die umliegenden Bäume spiegeln, diesmal auf brauner Oberfläche mit Blüten, Ästen und weiteren Kleinzeug bedeckt. Fünf Angler reihten sich in regelmäßigen Abständen aneinander, das erinnerte mich an das Mühltal mit seinen Mühlen wie an einer Kette. Wahrscheinlich sitzen sie hier so, dachte ich mir, auf dass sich keiner ins Revier oder Gehege des anderen kommt - Nichtangriffspakt.

Zwei Graureiher schwebten über den zweiten anglerleeren und trüben Teich, ein Reiher landete auf dem entlang führenden Weg, torkelte etwas und flog weiter entlang der hier ruhenden Birkenallee zu seiner Gefährtin oder Gefährten, je nachdem.

Ich passierte das Tierheim und die Milbitzer Pferde und Reitanlage. Als Abschluss nahm ich mir noch die Zeit für etwas Muse im Hofwiesenpark und mischte mich unters Volk. Ich gewöhnte mich damit gleichzeitig auch wieder an das städtische Lebensklima. Man muss also nicht weiter weg von seiner Heimat bei uns in Gera oder als Gast von der Stadt und auch im ganzen Elstertal weg reisen um viel Schönes zu sehen, sich zu entspannen und viel Schönes zu erleben.


17.04.2011
Niedersachsen im Frühling oder Ich hab noch einen Koffer in Göttingen!

Im wunderschönen Monat April als alle Knospen sprangen wars, da fuhr ich mit dem Zug ins Pferdeland Niedersachsen. Drei Stunden breschten wir über die Gleise von Gera nach Göttingen, drei Stunden bei der blauester Himmel und weiteste Sicht herrschte. Zum Glück wurde ich mehrfach aus meinen Gedanken gerissen, die sich in der Weite des Horizonts verloren, aufgefrischt wurde ich etwa durch eine angehende Sozialpädagogin mit der ich mich lange über Gera und Studienkram unterhielt oder durch eine fröhliche und aufgeschlossene Frauengruppe bei der ich nur schätzen konnte, irgendwo am Mittelmeer, mit einem jungen lockenköpfigen Sohn, der Leben ins Abteil brachte.

Als ich am Ziel aus dem Abteil aussteigen wollte, begegnete ich einen unfreundlichen und frechen Mann, der auch aus dem Abteil wollte, der sich von einer Mitpassantin nicht seine Tasche helfender Weise abnehmen wollte und der, als ich mit dem Rad aussteigen wollte und er draußen wartete, mich plötzlich böse und feurig anguckte als ich das Rad behutsam über sein Kind und Plastemotorrad das komisch fiepte darüber hob : "Kaputt, Anzeige, Polizei", schrie er mir hinterher als ich geistesgegenwärtig flüchtete um kein Messer in den Leib gestochen zu kriegen und mir blaue Augen abzuholen von diesem Mittelmeerdeutschen im Männlichkeitswahn.

Zu dem Blick auf Deutschland vor allem der südländisch Fremdländischen werde ich später ausholen, bei der ich durch Gespräche und sieben Tage Zusammenleben mit einem Marokkaner die andere Perspektive, die aus der Sicht der fremden Kulturen kennenlernte. Auf jeden Fall war ich durch diese Frechheit des Kerls dermaßen aufgewirbelt und hellwach, dass ich den ganzen restlichen Tag nur noch redete, also analysierte und philosophierte. Erst einmal ging ich aber einkaufen, denn bei meinem Kumpel, den ich das fünfte Mal besuchte, war Selbstversorgung die "Parole Emil". Was ich auch ganzheitlich als Zukunftskonzept in der Gesellschaft ansehe.

Seine Dachgeschosswohnung, die als WG organisiert war, lag in einem Vierstockhaus, in einer besseren Gegend von Göttingen, wo auch viele Verbindungshäuser und Einfamilienhäuser sowie ein Waldorfkindergarten liegen. Nachdem ich vom Einkaufen zurückkam beruhigte mich mein Kumpel, der vor einigen Jahren von Gera nach Göttingen gezogen ist, ich nahm meinen Geigenkurs aus meinem Reisebeutel und spielte auf seiner Geige - meine ließ ich zuhaus weil ich mit Rad und Rucksack keine Hand frei für das Instrument hatte.Gespräche folgten und später kam der Marokkaner noch dazu und wir beschlossen den Abend.
Am nächsten Morgen, einem Donnerstag, unterhielt ich mich lange nach dem Frühstück mit Mohammed, dem Marokkaner aus Rabat, über die Lage der Fremdkulturen. Er teilte mir mit, dass viele von seinen Leuten aber auch von anderen Kulturen Angst in Deutschland haben vor den Deutschen, viele der Fremdländischen kämen schwer mit Deutschen in Kontakt, hätten Angst vor Gewalt, vor allem Angst vor Ostdeutschland, fühlten sich nicht angenommen und seien deswegen häufig gestört, übertrieben männlich oder aggressiv. Mehrere Stunden später traf ich mich in der Stadtmitte mit einem fünfzigjährigen Bekannten von mir und meines Göttinger Kumpels, der als geborener Göttinger vor einiger Zeit nach Rostock zog und jetzt Mutter und Heimat besuchte, dazu stieß noch ein Jäger und Forstwirt, ein paar Jahre älter als ich. Wir zogen durch die Altstadt, ließen es uns beim Paulaner-Biergarten in der Nähe des Literarischen Zentrums und draußen bei einem Eiskaffee am alten Rathaus gut gehen. Mit dem Jäger ging ich später noch zu seiner Verbindung mit, der Evangelischen Studentenverbindung Wartburgia, dort hausten sie wie Schlampen, überall Dreck und Chaos, zuerst feierten sie sich mit einer Bierstafette und rülpsten danach und dann kifften sie beim Catan - Spielen. Ich bat meinen Begleiter in ein ruhiges Bibliothekszimmer, wir tranken, unterhielten uns und schauten fern. Nach eins zwei Stunden verließen wir beide das Haus, ich zum Kumpel, er zum Jägerstammtisch. Der Jäger machte auf mich einen sympathischen und redlichen Eindruck, ein echter Niedersachse. Ich ruhte mich in der WG aus. Spätabends oder besser halb in der Nacht tauchte plötzlich unser Neurostocker auf und teilte uns mit, er wolle gleich nach Rostock zurück. Wir Vier tauschten uns noch lebhaft aus und wünschten ihm eine gute Reise nach mehrfachen Umarmungen.

Freitag, der nächste Tag. Wir erfuhren von dem Wirbelsturm und dem Verkehrsunfall bei Rostock in die unser Bekannter eventuell gekommen sein konnte. Wir sorgten uns. Ich floh den Überlegungen, floh mit dem Rad, fuhr aus der Stadt über den Drakenberg nach Ebergötzen, dort besuchte ich die Wilhelm Busch - Mühle, bekam eine Führung, unterhielt mich mit der Frau, dann hörte und besah ich das arbeitende und ratternde Mühlengetriebe. Später erfuhr und erblickte ich, Busch war auch ein guter Maler.Die Weiterfahrt zum Seeburger See verlief angenehm. Ich fand mich umgeben von Knospen, Blüten und grünendem Leben, wunderschönen glänzenden Fachwerkhäusern. Am See, einem riesigen Naturgewässer stärkte ich mich zuerst mit Kaffee und Kuchen. Fuhr den Rundweg, überall Idylle, freundliche Leute, ja sogar die Kinder grüßen. Viele Pferde werden hier gehalten, überall Koppeln, Ställe und Heugitter. Ich grüßte froh und frei zurück und strahlte in die erwachende Natur.

Nach der Umrundung fuhr ich wieder Richtung Ebergötzen. Von einer Anhöhe sah ich den Harz am Horizont und den Brocken mit Turm.Ich wurde mir gewahr: Hier ist die Welt noch in Ordnung! Auf dem Dorf ist es besser als in der Stadt! In Ebergötzen passierte ich das Europäische Brotmuseum mit riesiger Windmühle, trank im Biergarten der Gaststätte ein Diesel und scherzte mit der netten, hübschen Kellnerin.

Trotz Gegenwind ging die Rückfahrt schneller von statten. Ich aß bei Burger King weil es dort noch am günstigsten war. In der WG diskutierte ich mit Mohammed, wir tranken Sekt und schauten einen Film über das Internet, über www.kino.to, wo alles verfügbar ist und keiner was machen kann, da juristisch gedeckt, später stieß auch mein Spezi dazu.

Am Samstag schlief ich lang, das Frühstück schmeckte umso besser. Ich ruhte mich von den Vortagen aus, las, musizierte und schrieb. Die beiden Gesellschafter kamen erst spät zurück, Wieder garnierte ein Film den Tag. Sonntags stand ich wieder spät auf, fuhr mit dem Rad den Hainberg hinauf zum Kehr, hier war zu meiner Verwunderung alles voller Leute, ich fragte mich warum. Dann sah ich die Pferde auf den Koppeln! Es fand ein Springturnier statt. Die Weißwürste schmeckten. Ich fuhr durch den Wald, einem Kalkbuchenwald, in dem der Boden über und über blühte - eine Pracht. Viele Wanderer sind dem Spektakel entflohen und lauschten im Wald der Stille, flohen ihrer Stadt.

Den Berg radelte ich über einen Waldweg wieder herunter. Später spazierte ich mit meinen Spezi aus der Stadt heraus, am Graben entlang, wir liefen einen Bogen zum Kiessee, überall Frauen - Frauenüberschuss in der ganzen Stadt, nach mehr als drei Stunden Fußerwärmung und einbrechender Dunkelheit erreichten wir die rettende Wohnung. Lange Gespräche über Geschlechter und Erziehungsfragen, die später in lockere Themen umschlugen, beendeten den vollen Tag.

Nach dem Erblicken der Morgenstrahlen, die durchs Dachfenster brachen, duschte ich, trank meinen Kaffee. Anschließend radelte ich mit meinem Silberpfeil nach Hevensen bei Nörten - Hardenberg wo der Fürst wohnt aus dem Hause von Novalis, dort besuchte ich auf Einladung den Jäger. Wir aßen zu Dritt Tortellini, ein achtzehnjähriger Jungjäger war auch mit von der Partie, später Kuchen und Kaffee. Ich schaute mir dieses ruhige Dörfli an. Überall saßen die Familien draußen auf der Veranda oder in ihren Garten und genossen den Frühling. Der Jäger zeigte uns seine acht Gewehre, eines teurer wie das andere. Und das erinnerte mich an den Film "Wall Street", an Gordon Gekko - köstlich. Das Sehen eines Jägervideos, bei der reiche Alte nach Polen fahren zur Jagd und Radek ihnen die besten Stellen zeigte, keiner richtig traf, das Tier zappelte und blutete und die "echten Männer" sich umarmten und feierten, ekelte mich an. Ich sagte es dem Jäger. Ich philosophierte über gesetzliche Schießvoraussetzungen für den Jägerschein, welche mir viel schärfer geregelt notwendig erscheinen!

Zurückgekehrt in Göttingen wurde ich Zeuge eines Studentenrituals an der Großen Aula, Erstsemestereinschwörung, viele Kopfbinden und aus allen Richtungen Parolen. Parole Emil halt. Danach radelte ich noch mit meinen Spezi zuerst eine Stadttour und dann zum Einkaufen, der Konsumkritik ward kein Ende und der Lachtränen auch nicht. Großartiges Wetter, Sonne pur den ganzen Tag, laue Abendluft, bereichernde Gespräche. Mohammed erzählte mir, dass Ausländer z.B. Araber mindestens fünf mal besser sein müssen, bessere Noten im Studium und so weiter um eine Stelle zu kriegen. Bei zwei gleich Guten würden Deutsche bevorzugt. Er versteht dies weil es menschlich ist, man immer seine Kultur bevorzugt und weil oft noch Angst im Spiel ist Ich hielt einige der Aussagen ein wenig für übertrieben. Dies gibt mir aber Anlass zur Recherche. Er teilte mir weiter mit dass viele Araber und andere Ausländer sich nicht als zugehörig fühlen, sie wollen schnell wieder in ihre Heimat, bleiben nur wegen Geld, Ausbildung oder Verdienstmöglichkeiten. Daher sage ich: Jeder Mensch gehört an seinen Platz und jede Kultur an ihren Ort! Das ist echte Freiheit im höchsten Maße für Alle.

Ich erfuhr, dass Franzosen rassistischer sind als Deutsche, sie haben Ressentiments gegen Araber trotz der Kolonialvergangenheit. Er klärte mich auf, dass Araber sich in Frankreich als nicht gleichwertig und zugehörig empfinden, die Franzosen wollen nichts mit ihnen zu tun haben. So bleiben sie stets unter ihren Leuten, kriegen selten gute Arbeit und suchen Gemeinschaft mit ihren "Brüdern" da sie dort Sicherheit haben. Da verstand ich warum es generell Parallelkulturen in Gesellschaften auf der Welt gibt. Auch sagte mir Mohammed; Franzosen hätten Komplexe gegen Deutsche weil sie zweimal gegen uns im Krieg verloren haben, insgeheim bewundern sie uns. Frankreich hat zwar Genuss, schönes Leben, schöner Schein, aber alles materialistisch, ohne Inhalt. Dafür bewundern uns die Franzosen - Innerlichkeit und Idealismus.

Deswegen muss der Franzose immer auf die Kacke hauen und deswegen hat der Wessi vor allem eines - eine große Klappe - weil es in seinem Inneren wenig gibt aufgrund der in der Masse gelebten materialistischen Lebensweise, die Innerlichkeit ablehnt. Diese hervorgerufen durch gesellschaftliche Erziehung hauptsächlich der Massenmedien. Reich zwar aber ideel-seelisch sehr sehr arm!

Am nächsten Tage, am Dienstag, dem vorletzten Tag meiner Reise war es zum ersten Mal kühl und regnerisch, Nachmittag erst wurde es trocken. Ich fuhr über den Göttinger Wall, stöberte in der Büchergilde Gutenberg, trank einen Kakao am nahen Cafe. Wieder sind viele Erstisgruppen unterwegs. Mit dem Spezi besuche ich eine Geigenbauerin, wir unterhalten uns lange mit ihr und ich bringe ihr einige Weisheiten von mir über das Saiteninstrument nahe. Auch die Geigenbauerin hat Probleme mit dem Nachwuchs, keine Zeit, da Zeit bei ihr Geld ist und Arbeit damit bleibt ihr wenig Zeit zum Ausbilden. Mit dem Spezi lief ich durch die Stadt die voller Fachwerkhäuser ist, die vom Krieg nichts abbekommen hat. In der Wohnung stärkten wir uns zu Dritt. Mohammed und ich lasen. Mein Spezi übte auf seinem Klavier. Einige Passagen gelangen.

Mittwochs unterhielt ich mich noch mit Beiden, Mohammed ermunterte mich zur weiteren schriftstellerischen Arbeit. Ich fuhr allein zum Bahnhof da Mohammed und mein Kumpane Termine hatten. Dort trank ich noch einen Kaffee und sorgte mit einem Baguette für die drei Stunden Fahrt vor. Diese drei Stunden "verflogen wie im Zuge". Die Woche kam mir wie ein Jahr vor. Wenn man in Gera aus dem Bahnhof kommt und durch die Stadt fährt weiß man wieder wo man ist und braucht zwei drei Tage um sich herunter zu gewöhnen.


27.02.2011
Ich hab noch einen Koffer in Paris!

Den Jahreswechsel verbrachte ich in der schönsten Stadt der Welt - in Paris. Nach ewig langer Busfahrt durch die Nacht kam ich nach Sonnenaufgang in der ile-de-france an. Erstmal ein petit dejeuner verzehrt, ein kleines Frühstück mit Kaffee, Baguett, Croissants und Konfitüre. Der Bus war rappelvoll mit jungen Leuten um die Zwanzig, die wegen der Sylvesterfete im "Elysee Theater" in Montmarte nahe der Sacre Coeur mitkamen. Nur ein paar Kulturtouristen fuhren mit. Hinter mir saßen zwei Kerle und ein Mädel, um die 27 rum aus Gera, die ohne Geld und ohne Plan einfach mal so nach Paris düsten und einige böse Überraschungen erleben sollten. Neben mir war ein junges Pärchen jünger als zwanzig, die die Reise als Liebesurlaub nutzten und einen durchdachteren Eindruck auf mich machten. Auf jeden Fall war das Mädel gut angezogen, süß, schminkte sich dezent und auch der junge Mann, der beim BKA studierte, machte auf mich einen smarten Eindruck. Vor mir saß ein Gothic-Pärchen, dass sich über Paris wie ich auskannte. Sich Essen von zuhaus mitgenommen hatte und auch sonst vorgesorgt hatte. Ganz hinten im Bus, hinter den drei Gerschen Fettguschen war eine Bande aus Berlin, dummes Kroppzeuch, was sich zum Jahreswechsel besaufen sollte und die Rückfahrt um drei Stunden verzögern sollte. Einer der besoffnen Kerle spielte dann den Stauchef aus der filmischen Wendesatire "Superstau" und fragte überall nach ob alles in Ordnung sei. Die Reiseleiterin, eine Musikwissenschafts und Linguistikstudentin konnte sich während der ganzen Reise nicht durchsetzen. Eine Fehlbesetzung, die eher in irgendein Institut gehört und ohne Verantwortung! Soviel der Vorrede.

Nach der Ankunft in Paris, dem Aufstieg, Rundumblick und Besichtigung der Sacre Coeur stand eine mehrstündige Stadtrundfahrt auf dem Programm. Ich saß mit Andreas, einem Autoren wie ich, der auch allein sich nach Paris verbracht hatte, oben und ganz vorne im Zweistockbus. Ein anderer und älterer Reiseleiter teilte uns jede Menge Anekdoten und Wissenswertes über Paris mit. Endlich Kompetenz, hallelujah.  Neben uns über dem Gang saßen zwei kokette Mädels aus Berlin, mit denen ich mich später noch gut unterhielt. Am Grand Palais endete die Fahrt. Andreas und ich beschlossen gemeinsame Sache zu machen und die Wege unsicher zumachen. Wir liefen zum Bogen oberhalb des Eiffelturms. Besichtigten die Achse, saugten die überwältigende Stimmung durch die Menschen und Strassenmusiker und den ganzen Anblick, auf. Stiegen wieder ab. Hielten uns lange unterhalb des Eiffelturms; der perfektesten Symbiose aus Streben, Bögen und Pyramide, die je gebaut wurde; neben der hundert Meter langen Dauerschlange auf. Wir liefen die Seine entlang vor den Invalidendom. Der Hunger trieb uns zum Essen ins Ministerien und Regierungsviertel. Aßen zuerst beim günstigen Asiaten. Danach in einem französischen Bistro, halt orchinal. Andreas aß coq au vin, Hahn im Wein. Viel Knochen, wenig Fleisch - auch der Franzmann muss sparen.Ich trinke nur eine chocolat, die selber gemacht zuhaus um vieles besser schmeckt. All dass stört uns aber nicht. Der genius loci des Ortes hat uns verzaubert.Dann gingen wir zum Invalidendom. Erst in die Kirche. Überwältigend. Viele Fotos. Zu Napoleons Grab muss ein Komplettticket gelöst werden in der cafeteria. Kompliziert geht die Welt zugrunde. Kann mich derberen Flüchen gerade so enthalten.Es war eiskalt. Aber dank Schal, Mütze und Handschuhe ist die Stadtwanderung erträglich.Wir erreichten das Riesenrad auf der Place de la Concorde mit ihrem orchinalen Obelisken und den beiden traumhaften Brunnen. Andreas fuhr mit dem Rad und ich fotografierte und kaufte mir Erinnerungsstücke. An der Champs Elyssee flanierten wir entlang eines ewig langen Weihnachtsmarktes. Tranken vin chaud, Glühwein. Beim Grand Palais stiegen wir zur Metro ab, setzten, stärkten und wärmten uns bei einem Italiener mit Cappuccinos, ich unterhielt mich mit den smarten Pärchen, meinen Sitznachbarn. Beide aus Zwickau. Sachsen halt.

Eine märchenhafte Seinefahrt nach der Dämmerung stand ich trotz eisigen Gegenwindes eineinhalb Stunden im Freien durch. Zuerst backbords und dann am Bug. Die Nacht, die Lichter. Die Menschen aus aller Herren Länder an Bord. Der Eiffelturm, der Pont Alexandre, die schwimmenden Mücken der Seine - die Hausboote an den Ufern des grünen Stromes. Der Höhepunkt der Reise. Der angestrahlte Eiffelturm mit glitzernder Sterntaleroptik. Ein Japaner fotografiert mit dem neuesten Handy und einem Bildschirm so groß wie ein Netbook. Starker Wellengang lässt das Schiff fast wie auf der See schaukeln. Andreas ist auch beeindruckt wie die zwei Berliner Mädels. Danach fuhr ich mit Andreas per Metro zur Pigalle, der Mausefalle mitten in Paris, ein berühmtes Amüsierviertel von Paris mit Moulin Rouge und vielen Clubs, wo man mit viel Geld reingeht und mit nichts wieder herauskommt. Die rote Mühle war da noch die seriöseste Addresse des Ortes. Dieser Kiez machte auf mich den lebendigsten Eindruck. Keine Schlipsträger, keine Soldaten wie an anderen Orten der Stadt. Ungeregelte Realität kurz Leben genannt.

Die Fete im "Elysee Theater", einem alten Theater im Montmartre nahe des Pigalle war ein totaler Reinfall, nur aufgedonnerte Schickimickigirls, blöde Allerweltsmusik, keine Sitzmöglichkeit, keine Lounge oder Ecken zum Unterhalten. Einige stehen mit uns bei der riesigen Bar, enttäuscht und noch mit Jacken angekleidet.Wir trinken unsre drei Freigetränke und verlassen die Kinderdisko für 39€. Laufen die Strasse hoch, erklimmen den Hügel und mischen uns unter die wirkliche Feiergemeinde an der Sacre Coeur,eine einmalige - faszinierende - internationale Stimmung - alle Menschen werden Brüder - nimmt mir den Atem. Der Tag zeigt erste Spuren. Ich genieße mit meinem Begleiter die Rundumsicht, das beleuchtete Paris. Ich war mir noch nie so sicher - irgendwann wird ein mehrmonatiger Schreibaufenthalt in dieser fruchtbaren und kulturvollsten Stadt der Welt Wirklichkeit für mich. Wir setzten uns in ein Cafe unterhalb des Hügels und erwarteten den Jahreswechsel. Setzten uns neben drei attraktive parisienne. Stoßen mit Sekt an und prosten den Drei ein "Bonne annee" und ein sympathisches Lächeln zu.

Am Fenster sitzend blicke ich immer wieder zur Sacre Coeur, halte mein Souvenir neben das Fensterbild, Modell und Wirklichkeit, Traum und Realität. Hier in Paris ist beides geeint. Die leichte-weiblich-lebendige Lebensart ist mit der schweren-männlichen-festen Architektur auf weltweit einmalige Art und Weise verbunden. Eine glückliche Einheit von Menschenart, Kultur, Architektur und Geist des Ortes. Paris - das ist doch für mich die Sehnsucht nach der Perfektion mit Leichtigkeit, der Sehnsucht nach leichtfüßigen Schöpfertum. Nach Stil, Kultur und Grazie bzw. Anmut. Als Gerscher hatte ich vor der Reise Vorkehrungen getroffen. Ich besuchte in unserem Geraer Stadtmuseum die sehenswerte Ausstellung "Romantisches Gera" - ja auch unser Gera konnte sich einst sehen lassen. So versuchte ich mich kurz vor dem Kulturerlebnis zu erden. Ich wusste, dass dies nach meiner zweiten Parisreise 2004 nötig war. Dass ist der ewige Konflikt von uns Menschen - wir streben nach Ferne, Höhe, Weite, Perfektion. Und sind mit dem Nahen kaum zufrieden. Wir Menschen wollen mehr sein als wir sind und Paris ist für mich das deutlichste Symbol auf der Welt dafür. Lagerfeld lässt grüssen.In der Neujahrsnacht halb vier bewegte sich der Bus wieder Richtung Deutschland und ich gebe den Lesern dieser Zeilen noch eines mit auf den Weg:
Trennt euch endlich von der alten und abgelebten Erbfeindschaft, Krieg ist Krieg und Frieden ist Frieden, lernt Frankreich kennen und schätzen. Lernt von diesem kulturvollen Land, dass allerdings auch über mächtige soziale Probleme verfügt, wie wir beide in Paris nahe des Eiffelturms entdeckten. Und auch Ihr Franzosen lernt die Deutsche Art kennen und schätzen – Innerlichkeit, Aufrichtigkeit und Beständigkeit. Ihr Deutschen, lernt vom Stil dieser grande nation. Ihr werdet dadurch größer als Ihr es jetzt schon seit!
 


22.11.2010
Niedersachsen und Hessen

Nachdem ich zwei Wochen Urlaub machte, zuerst in Göttingen, dann in Frankfurt und schließlich in Obertshausen bei Offenbach. Dabei drei Freunde besuchte und bei ihnen hauste. Ziehe ich jetzt nach der Rückkehr Bilanz und bin immer noch erstaunt wie unterschiedlich die Drei sind. Wenn ich sie in so kurzer Zeit besuchte und ihr Leben betrachtete. Die man wie alle Menschen nur richtig kennenlernt wenn man bei oder mit ihnen wohnt. Ich sah und sehe meine Freunde als Ausdruck unterschiedlicher Wesensmerkmale von mir selbst. Alle Drei repräsentieren verschiedene Seiten meiner Persönlichkeit. Und ich bin stolz die Drei zu meinen Freundeskreis zu zählen.

Göttingen und Frankfurt sind größtmögliche Gegensätze. Die vollkommen erhaltene und übersichtliche Fachwerkstadt Göttingen, in der man sich nicht verlaufen kann, die einen ruhig-ausgeglichenen Eindruck macht(den die Studenten fröhlich beleben) im Gegensatz zur hektischen Weltstadt Frankfurt a la "Zeit ist Geld" mit ihren Fraport, dem Westend, dem Bahnhofsviertel, dem Kneipenviertel Sachsenhausen, der Börse, Palmengarten, Museen und dem Goethehaus. Die Stadt, die wie New York oder Tokyo niemals schläft! In der Stadt, wo der Bürohengst und Schlipsträger neben dem Penner in der Ubahn sitzt und ich an drei Tagen viel Englisch, ein wenig Spanisch, etwas Italienisch und ein klein wenig Französisch auspacken musste um zur nächsten Haltestelle zu finden.
In Gera brauchte ich in über zwanzig Jahren nie Englisch...Überhaupt sind meine Heimatstadt und die Hessenmetropole größtmögliche Gegensätze. Auch das Rückzugsgebiet der Banker und Fondsmanager Frankfurts also Bad Homburg ist eine Reise wert. Besonders Schloss, Park und die zwei großen Kirchen - die Erlöserkirche und St. Marien. Ich kann als Hessisches Schmankerl "Süßgspritzten" sehr empfehlen: Das ist lieblicher Apfelwein mit viel Kohlensäure. Aber Achtung: Der Alkohol verbirgt sich im Geschmack.





 
  © seit 2009 bei Christian Klopfer