Klopfer!
  Kurzgeschichten
 


Heimwärts

Der alte Mann biss die Zigarre ab. Endlich hatte er Zeit den Tag gehen zu lassen. Es war kurz vor Sonnenuntergang und der Tag des Zigarrendrehens war lang und eintönig. Wenigstens gab es zum Feierabend Eine aus eigener Herstellung. Warum auch immer nur für andere produzieren fragte er sich. Wenn er Rentner ist würde er nur noch seine Eigenen drehen. Den Tabak würde er günstig der Plantage abkaufen. Ihm würde dann Ausschuss genügen. Er war stolz auf die Zigarren und den Tabak seines Landes.

Keine dreihundert Kilometer westwärts lag das Ziel der Jungen. Eine Welt des Luxus und der Freiheit. Aber keine Heimat, keine heimischen Zigarren. Er würde bis zum letzten Atemzug nicht aus seinen Land herauskommen ahnte er. Ihm war das gleich. Die Schönheit der Frauen, die Gitarrenklänge in den Kneipen, die Tanznächte im Nachbarsdorf und die Sonnenuntergänge dort am Strand verzauberten seine Sehnsucht nach Weite und Wohlstand in eine wohltuende Zufriedenheit. Warum auch weggehen? Niemals würde er seine Scholle vermissen können, niemals aus der Ferne sehen wollen. Er atmete eine sanfte Brise Zigarre ein. Bewegte die Zunge um seine Heimat zu schmecken. Das war seine Sehnsucht. Eine Heimat in der er nie ankommen würde. Die ihm aber diese Verbundenheit mit allem schenkte. Die weiße Asche am Zigarrenende fiel zu Boden. Er atmete aus und erwachte aus seiner Abendmeditation.



Ali statt Aldi

So eine lange Fahrt, zum Glück gibt’ s hier nur gute Strassen. Muss ein reiches Land sein. Mein Rücken ist mal wieder arm dran, verdammte Pappkiste. Mutter lobt ständig diesen Gorbi. Keine Ahnung wer das ist. Bestimmt einer der Erwachsenen. Die dürfen alles. Können auch mal alleine zuhause bleiben. Geht mir auf die Nerven. Wollte hier gar nicht mit aber ich bin mal wieder zu jung. Wir Kinder haben es schwer. Hoffentlich werd ich schnell erwachsen. Was darf ich schon mit neun Jahren?

Mutter will erstmal in die große Kaufhalle Ali oder so. Warum ist meine Schwester so still? Nimmt die mir das von gestern immer noch übel. Haare in den Mund stecken. Hätte ja nicht mitspielen brauchen. Selber schuld. Was ist denn das da vorne für einer? Sitzt da auf dem Boden und lungert herum. Sieht mager und zerknittert aus. Die sind wohl doch nicht so reich hier? Da drüben auch noch so einer. Wieso haben die nicht genug Geld? Die aus der Ali könnten denen doch was abgeben. Die haben doch genug. Sonst würden da nicht so viele Leute herausströmen und lächeln. Wie die Leute dort nach Wagen anstehen! Da drin ist wohl das Schlaraffenland. Oma hat mir davon vorgelesen. Das Land wo Milch und Honig fließen. Wenn ich groß bin will ich nicht so enden wie die beiden da unten am Boden. Mu ist das egal hier. So schnell auf einmal wie sie mich hinterher zieht. Wegen Ali oder wie hieß das noch mal? Das ist ja wie neulich. Wo sie mich zum Impfen gezogen hat. Ich hasse Spritzen. Und die Spritzenden hasse ich weil die spritzen. Schwes sagt immer noch nichts. Oma hat es nicht so eilig. Zieht Schwes nicht so schnell hinterher. Vielleicht kennt die das hier schon? Muss sie mal fragen. Om sieht etwas verwirrt aus. So kenn ich sie gar nicht. Sie regt sich bestimmt auf weil in dem Gemüseladen da drüben überall Apfelsinen auf dem Weg liegen. Haben wohl zuviel davon. Und warum gibt es die hier auch nach Weihnachten? Mu erzählt sonst jedes Mal wie lange man danach ansteht. Und dass es die kaum gibt. Süß schmecken die am besten. Am liebsten jeden Tag.

Das ist also der Ali. Mu nennt ihn zwar Aldi, aber für mich ist das der Ali. Om und Mu sind wieder so komisch. Ist wohl alles zuviel. Meine Schwes sagt immer noch nichts zu mir. Gut das die alte Frau grad Mu gefragt hat wegen diesen Kartoffeln. Mu nannte sie Kiwis dank Tante Frieda. Die hatte doch so was mitgebracht von ihrer Reise in den schwarzen Wald. Die schmecken säuerlich aber gut. Om kauft sich auch welche. Schmecken ihr bestimmt auch. Erst lobt Mu diesen Gorbi. Jetzt wird hier alles in den Himmel gehoben. Wenn sie das nur mal bei meinen Schulnoten machen würde. Endlich geht es hier wieder heraus! Diese vielen Leute kommen wohl auch alle von uns. Als ob die verhungern müssten. Hinter dem antiimperialistischen Schutzwall sind die Bösen! Haben die das alles vergessen? Haben die nicht richtig aufgepasst im Unterricht. Erst letztes Frühjahr war wieder der ABV in der Schule und hat sich den Mund fusslig geredet. Schwes hat mal wieder was gekriegt. Bloß weil die jünger ist! Das ist ungerecht. Warum hat Mu mir nicht auch was gekauft?! Hätte ja nicht so eine dämliche Puppe sein müssen.

Om will mir was kaufen. Aber erst mal suchen wir hier einen Bonbonladen. Die ganze Zeit lobt Mu wieder alles. Om sagt nichts dazu. So hab ich sie noch nicht erlebt. Sonst sprudelt sie. Redet über alles und jeden. Mu ist sonst ruhiger. Meine Om ist die Beste! Wenn ich sie nicht hätte! Es würde keiner auf mich am Wochenende aufpassen. Mu hab ich ja auch lieb. Habe beide lieb. Wenn mich meine Schwester nicht so oft nerven würde, hätte ich sie auch viel lieber! So habe ich sie nur einfach lieb.

Die ganze Zeit laufen wir hier schon herum. Sind wohl im Kreis gelaufen. Das ist uns schon ein paar Mal im Urlaub passiert. Weiß auch nicht warum. So groß sah der Ort von der Autobahn gar nicht aus. Mist, hoffentlich finden wir unseren Johann wieder! Ich wollte den Trabbi ja Peterle nennen wie unseren Vogel aber Mu weiß ja immer alles besser. So sind die Erwachsenen halt. Wenn ich später mal ein Auto habe nenne ich es Peterle. Und sie kann nichts dagegen machen. Und Mu muss dann immer hinten sitzen. Vorne sitzt dann mein Hund. Am liebsten ein Bernhardiner. Der ist schön groß und nicht so eine halbe Portion wie der von Tante Frieda.

Gut dass Mutter hier die Frau nach dem Weg fragt. Ich will nur noch zum Auto und wieder nach Hause! Die Alte ist aber nett. Hat mir sogar die Hand gegeben. Sonst reden die meisten Erwachsenen nur über mich. Die ist aber nett. Sie kennt sich hier aus. Wenn die hier alle so sind dann brauchen die bestimmt keinen ABV und keine Polizei. Endlich sagt Schwes was. Sie will gerne Süßes. Wohl Lakritz. Wie immer. Schokolade und Bonbons. Das wäre jetzt was. Warum hat Mu im Ali nichts geholt. Aber Schwes hat doch schon eine Puppe. Kann nie genug kriegen. Om fragt endlich nach einem Laden für Süßes. Die Alte kennt nicht nur den Weg. Die weiß auch wo so` n Laden ist. Die ganz Alten sind doch nicht alle so verkalkt wie der Robert immer erzählt. Ich wollte den nicht als Banknachbar. Das ist` n Riesenarschloch. Aber diese Ziege von Klassenlehrerin hat ja das Sagen. Halt erwachsen. Wenn ich mal Kinder habe dann schicke ich die nicht zu so` ner dämlichen Lehrerin. Die Erwachsenen quattern aber lange. Wir wollen doch noch Süßes holen. Haben die das schon wieder vergessen. Die Frau ist aber auch freundlich. Fast wie meine Om. Da hat sich Om wohl geirrt dass hier alle eingebildet und arrogant sind.

Endlich geht’s zum Laden. Jetzt wird meine Schwes aber mehr gezogen. Meine Oma will auch wieder schnell nachhause. Wir wollen ja auch noch Abendbrot essen. Den Sandmann verpass ich heute bestimmt. Aber Johann- fahren macht auch Spaß. Da komm ich heute wohl spät ins Bett. Zum Glück ist morgen keine Schule.

Das ist aber hier ein schöner Bonbonladen. Alles voll mit Schoko und glitzert so schön. Fast wie das Kleid von Dianas neuer Puppe. Und groß ist der. So einen hab ich noch gar nicht gesehen. Was die hier alles haben. Oma kauft mir ne Tafel mit Marzipan. Die weiß was ich gerne esse. Mutter kauft Diana Lakritz. Das ist nichts für mich. Das ist bääh. Diana isst das wie ich Marzipan. Der schmeckt sogar Sellerie und rote Beete. Iiiiihh. So isst sie mir wenigstens keine Schokolade weg.
Die Frau Verkäuferin ist hier auch so nett wie die Alte. Die brauchen hier wirklich keinen ABV. Schon wieder quattern die hier so lange. Mal gucken ob die mir auch die Hand gibt? Diesmal nicht. Aber dafür gibt` s ne Packung für nichts. Das ist wirklich lieb. Auch Marzipan ist mit drinnen. Und Lakritz für Schwes. Mu und Om bedanken sich dafür. Vielleicht hatten die hier lange keine Besucher mehr. Diana fängt schon an das Lakritz zu essen. Na lange hält dass nicht. Ich heb mir mein Marzipan auf. Bei uns gibt` s so was kaum. Meine Schwester ist noch bisschen dumm. Die Verkaufsfrau fragt woher wir kommen. Die kennt sogar unsere Stadt. Und dass so weit weg von uns.
Mutter kannte die Stadt hier nicht. Wir sind ja einfach irgendwo abgebogen und so. Aber schön ist` s hier. Die schönen Häuser und glänzenden Autos. Alles sauber, keine Löcher in den Strassen. Und Klos sogar wo die Autos parken. Die sind hier alle reich und brauchen nicht mal nen ABV. Ein Schlaraffenland.
Oma hat mir doch gestern gesagt an jedem Märchen ist` n Körnchen Wahrheit oder so. Oma hatte mal wieder Recht. Wenn ich morgen mit den Hausaufgaben fertig bin les ich das Märchen. Mutters Weihnachtsüberraschung ist wirklich schön. Wenn ich mal Kinder habe schenke ich denen auch so ein Märchenbuch. Da kann ich in der Schule sagen dass ich im Schlaraffenland war. Und dass die Leute hier keine Polizei brauchen weil die alle nett und freundlich sind und so. Jetzt sind die fertig mit quatschen. Die Schokofrau gibt mir sogar die Hand. Diana gefällt` s hier auch. Eigentlich muss ich gar nicht so schnell wieder nach hause. Sandmann ist ja eh schon vorbei. Vielleicht gibt’s hier noch mehr solche Läden.

Jetzt hat es aber Oma eilig. Heut kommt bestimmt wieder so ein alter Film. Den will sie nicht verpassen. Jetzt müssen wir nur noch den Johann wieder finden. Und nicht im Kreis laufen. Hoffentlich fahren wir mal wieder hier her. Das nächste Mal will ich aber auch was vom Geld haben. Ich bin alt genug. Wenn die hier unser Geld hätten, würde mein Taschengeld ja reichen.

Veröffentlicht:
2009: Prosaanthologie des Literaturwettstreits "Erstmals Drüben" des Kulmbacher Literaturvereins und der Goethe Gesellschaft Gera
ISBN 978-3-9802617-6-0

 


 

 

 
  © seit 2009 bei Christian Klopfer