Klopfer!
  Der talentierte Mr. Ripley
 
Zu Anfang wird uns das nächtliche New York und ein kleiner Gauner gezeigt. Tom Ripley gaunert sich mit Steuerbetrug durchs Leben. Eines Nachts verfolgt ein Mann ihn. Ripley flüchtet in eine Bar, der Verfolger spricht ihn dort an. Dieser entpuppt sich als der reiche Reeder Herbert Greenleaf. Herberts Sohn Dickie weilt seit einiger Zeit in Europa, weigert sich, wieder zurück nach Hause zu kommen. Greenleaf, der in Tom einen Freund von Dickie glaubt, macht ihm ein Angebot. Ripley soll nach Europa fahren und Dickie überreden, wieder in die Staaten unter die Fittische des Vaters zu kommen.

Tom nimmt die Offerte an und macht sich auf den Weg ans Mittelmeer, nach Italien, wo Dickie in dem kleinen Kaff Mongibello auf Kosten seines Vaters ein Luxusleben führt. Es entwickelt sich schnell eine Freundschaft zwischen Tom und Dickie, welche von Dickies Freundin Marge argwöhnisch betrachtet wird. Marge vermutet in Tom einen Homosexuellen, der Dickie nur ausnutzen will zum eignen Vorteil. Sie treibt einen Keil zwischen die Beiden. Doch der kleine Gauner aus New York hat Gefallen gefunden am "Dolce Vita", dem süßen Leben seines neuen Freundes und lässt sich nicht so leicht von Marge abwimmeln.

Außerdem entdeckt Tom eine auffällige Ähnlichkeit zwischen sich und Dickie. Tom zieht die Kleidung von Dickie an, gefällt sich immer mehr in der Rolle des reichen Sohnes. Endlich arbeitet er einen raffinierten Plan aus. Auf einer Bootstour der beiden Freunde tötet Tom Dickie. Er versenkt die Leiche im Wasser und übernimmt die Rolle vom Schmarotzer Dickie Greenleaf.

Diese Rolle verlangt sein ganzes schauspielerisches Talent. Gegenüber Marge darf er keinesfalls als Dickie auftreten, er erfindet also eine Lügenstory: Dickie sei in Rom um dort der Kunstleidenschaft zu frönen. Nicht nur bei Marge kommen immer mehr Zweifel am angeblichen Verschwinden von Dickie auf. Auch andere Freunde desselben werden argwöhnisch. Außerdem hat Tom in der Rolle Dickies auch noch die Polizei am Hals, die ihm nachhetzt. Eine gefährliche Jagd, in dem Tom ständig seine Identität wechseln muss und bei dem er sich zu einem weiteren Mord gezwungen sieht, beginnt.

„Der talentierte Mr. Ripley", 1955 in den USA veröffentlich, ist der Beginn eines ganzen Zyklus um diesen cleveren und durchaus sympathischen Mörder, wie ich finde. Higsmith widmete ihrem Ripley noch vier weitere Romane. Das Erstaunliche am ersten Buch ist vor allem die Sympathie, die der Leser für den Mörder Tom Ripley aufbringt. Seine Parteinahme. Für einen Gauner, Betrüger und Mörder. Hier verschwinden die Gut-Böse-Linien. Das Böse in einer Art Felix-Krull-Gestalt hat seinen dunklen Reiz. Entgegen einem klassischen „Wer hats getan?" fiebert man mit Tom, freut sich über sein kleines und großes Versteckspiel, den Rollentausch und die Tarnung. Hofft zuletzt, dass er der Polizei und dem später auf den Plan tretenden nach ihm suchenden Detektiv entkommt.

Highsmith zeigt einen künftigen Serienkiller am Anfang seiner Karriere. Noch ist Ripley unsicher bei seinen Morden, noch beherrscht Angst sein Tun. Doch je tiefer er in seine neue Identität schlüpft, je weiter er sein Lügengespinnst treibt, desto sicherer wird er. Ripley wächst an seiner Aufgabe - das macht ihn durchaus sympathisch.

Dabei mordet Tom Ripley nicht aus reiner Geldgier, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Herausgeber Paul Ingendaay weißt in seinem Nachwort ausdrücklich und überzeugend auf die versteckten Motive hin. So behandelt Ingendaay ausführlich die homosexuellen Anspielungen und Gesten im Roman, legt die psychologischen Muster von Highsmith Männerbünden offen und ermöglicht so, einen genaueren Blick auf die Figur des Tom Ripley.

Die flüssige, klare und nüchterne Sprache, in der Highsmith die Geschichte erzählt, zieht den Leser an die Lektüre und ins Geschehen. Im Besonderen die Mordszenen, welche erschreckend gefühllos und sachlich dargestellt werden, verharren dem Leser lange im Gedächnis. Bereits in ihrem ersten Ripleyroman wird deutlich, dass es in der Welt des Tom Ripley keinen Platz für Moral gibt, für Gut und Böse.Das darwinistische Gesetz des Stärkeren befiehlt ihm, analog zum Seewolf Londons. Während das erste Opfer Dickie Greenleaf das Leben eines Schmarotzers führt und sein Leben mit schlechter Malerei verschwendet, schlummern in Tom Ripley Begabungen, die zu Beginn von Dickie belächelt werden. Ripley entdeckt seine Fähigkeiten zur kunstvollen Täuschung, versteht sie clever einzusetzen. Der Leser fühlt ein Unbehagen gegen dieses amoralische Verhalten, wehrt sich innerlich, aber Highsmith versteht es, dem Leser trotzdem für dieses begabte Gaunertum Respekt abzuverlangen. Eine reizvolle Gegensätzlichkeit - die zum Lesen einlädt. Und die in jedem Fall Zeugnis ablegt von der literarischen Meisterschaft einer großen Autorin. Von denen es leider nicht sehr viele gibt. Aber was nicht ist kann ja noch werden...

 
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