Klopfer!
  Eden
 
Alarmsirenen schrillen! Das Raumschiff schrammt gegen die Atmosphäre des Planeten! Die Luftreibung verändert die Flugbahn dramatisch, das Raumschiff stürzt, nur notbehelfs von Bremsraketen entschleunigt, auf den fremden Planeten. Die sechsköpfige Schiffbesatzung erlebt die Katastrophe schlechthin. In unendlichweiter Entfernung zur Erde stürzen sie mit unkontrollierter Geschwindigkeit auf die Planetenoberfläche. Das Raumschiff bohrt sich tief hinunter, in den Boden. Absolute Dunkelheit und Stille. Schaden, der beträchtlich ist! Alle Maschinen arbeiten nicht mehr, Strom ist nicht verfügbar, der untere Teil des Schiffs füllt sich mit radioaktiv verseuchtem Wasser an. Der Rückflug scheint unwirklich, unmachbar,  unmöglich.

Die sechs Besatzungsmitglieder suchen sich anstrengend den Weg durch die senkrecht stehende und steckende Rakete. Sie finden endlich eine Luke, müssen sich aber trotz allem viele Meter durch den weichen Mergelboden nach oben graben wie ein Maulwurf, um ins Freie zu gelangen. Weil der Planet über eine annähernd erdgleiche Atmosphäre verfügt(das alleine erinnert irgendwie an StarTrek, wo es ja nur solche Planeten gibt, wenn es nur so wäre...), können sie ohne Skaphander ins Freie. Aber was für eine die Landschaft? Sie wirkt völlig fremd, unbelebt und unwirklich auf die Gruppe. Die Sechs beschließen, die Umgebung zu durchstreifen, wollen untersuchen. Doch wieder... die absolute Fremdartigkeit entsetzt sie. Sie finden Pflanzen, sogar eine Fabrik, von denkenden Wesen aber keine Spur. Nicht die geringste! Alles macht den Eindruck: Seit Jahrhunderten verlassen! Die Fabrik stellt vollautomatisch hochkomplexe Gegenstände her, die sie direkt wieder einschmelzt und aufs Neue produziert. Ein Nullsummenspiel, ein circus vitiosus.
Als sie endlich ein Wesen in ihrem Raumschiff finden, es sezieren, erhöht sich der Eindruck der Fremdartigkeit - der Andersartigkeit, sie finden kein Gehirn - nichts, was einordbar wäre. Weitere Alientreffen enden in einem Feuerscharmützel. Offensichtlich besitzen die Fremden keinerlei Waffen, die es mit den menschlichen aufnehmen können.

Schwierigstes Unternehmen und größte Aufgabe bleibt eine Kontaktaufnahme. Zum Glück der Sechs bringen sie die Reparaturmaschinen in ihrem Raumschiff wieder in Gang. Die Hoffnung erwacht wieder, diesen Planeten wieder verlassen zu können. Plötzlich werden sie von den Fremden angegriffen...

Stanislaw Lem unternimmt in diesem Roman den Versuch, eine fremde Welt aus der Sichtweise von sechs gänzlich unterschiedlichen Menschen darzustellen. Ein wenig klischeehaft ist das schon, aber Lems Zeit war auch eine andere! Der kühle Kybernetiker, der heitere Arzt, der impulsive Koordinator, der bedächtige Ingenieur gehen völlig anders an diese Sache heran und sehen sämtliche Dinge jeweils unter völlig anderen Prämissen und Hoffnungen.
In vielschichtiger und weit ausholender Erzählweise versucht Lem das scheinbar Unmögliche. Eine Welt, die sich dem Verständnis des Menschen völlig entzieht! Die absolut keine Gemeinsamkeiten mit der unseren hat! Zu erschaffen, zu veranschaulichen und in ihrer Fremdartigkeit "verständlich" zu machen. Ihm gelingt es, sehr weit entfernt von den üblichen Konstrukten, die man bei Asimov, Niven, Herbert und in den Perry Rhodan-Romanen findet, die Wirklichkeit abzubilden. Er versucht nicht banal nur eine andere Welt zu schöpfen, die doch nur wieder menschlichen Begriffen, menschlicher Moral und menschlichen Verhaltensweisen folgt und haften bleibt. Sondern Lem erdenkt und beschreibt eine Welt, die sich eben jeder Beschreibung und jedem Verständnis entzieht. Wieder mal eine Gegensätzlichkeit wie so oft in der Literatur! Dies gelingt ihm auf eine elegante Art und Weise. Das Ergebnis ist zwar etwas sperrig und schwer zu verstehen für die Konsumenten des alltäglichen Gebrauchfernsehens, das aber ist eben das Ziel des Autoren. Er will nicht eloquent und versiert ein Weltraumabenteuer abliefern, das den Menschen und dessen Schöpfung darstellt, sondern er versucht den Menschen als Fremdkörper, als "Alien" in einer Welt abbilden, die es tatsächlich geben könnte. Die anders funktioniert, anders aufgebaut ist, die im wahrsten Sinne des Wortes "nicht menschlich" ist.

Der intellektuelle Anspruch des Textes ist hoch. Die enorme Vielschichtigkeit und der gelungene, errungene, aber schwer durchschaubare Entwurf einer fremden Welt ist Qualitätsmerkmal und zugleich Haupthemmnis des Romans. Somit dürfte die Zielgruppe klar umrissen sein. Er bleibt in Teilen unverständlich, zu vielschichtig, um einfach nur zu unterhalten. Ein Gegenentwurf gegen die billige Unterhaltungsmaschine die den Menschen die Hirnverdauungssekrete irgendwelcher Lohnschreiber in der Glotze hinwirft. Er ist eher ein Denkexperiment des klugen polnischen Physikers, Mediziners, Philosophen und Kybernetikers Lem. Und schnell versteht man, dass Lem über derart profundes Wissen, eine solch überbordende Fantasie verfügt, dass ihm der Leser nicht immer folgen kann. Vor allem der Leser ohne Horizont. Im Sinne des Unterhaltungswertes, der Spannung, die einen SF-Roman auszeichnen sollte wenn es nach den Kategorisierern und Marktlern des Buchmarktes geht und der Klarheit des Zukunftsentwurfes die oft erwünscht wird, ist dieses Buch gescheitert - aber das wollte Lem mit absoluter Sicherheit auch erreichen: eine verstörende Welt, ein unlösbares Problem und eine Geschichte ohne "Happy End".

Geduld, Fantasie und Durchhaltevermögen sind erforderlich für diesen Roman. Es lohnt sich! Der Entwurf einer wirklich fremden Welt ist etwas anderes als Star Trek, Star Wars oder andere Wohlfühlutopien. Gerade diese Andersartigkeit wirkt dabei so technisch, so realistisch, so körperlich, dass ich diesen Roman uneingeschränkt empfehlen kann! Er ist in seiner Art einzigartig. Und wird sicher den einen oder anderen Feinschmecker finden.
 
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